Herbert Rosendorfer, 1972
Deutsche Suite
Worum es geht
Um den Buchtitel zu verstehen, muss man wissen, dass die einzelnen Kapitel barocke Tänze bezeichnen und in der genannten Reihenfolge eine erweiterte, sogenannte „Deutsche Klaviersuite“ bilden.
Das Werk selbst ist eine (im positiven Sinne) ganz besondere Geschichtsklitterung, die auf zwei Ebenen spielt: Die Hintergrundhandlung beschäftigt sich mit der deutschen Geschichte zwischen den 30er und den beginnenden 70er Jahren, und ist soweit korrekt wiedergegeben. Der Rest ist rein fiktiv und nimmt alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Positionen auf den Arm.
Die beiden Hauptdarsteller könnten unterschiedlicher nicht sein und bestreiten ihre Biografie bis auf wenige Überschneidungen zunächst getrennt voneinander, bis sie am Schluss zusammenfinden.
Der eine ist Hermanfried Scheemoser, das Ergebnis einer Begegnung zwischen der nymphomanen Prinzessin Judith, genannt Gicki, und dem Gorilla Parzival auf einer Faschingsfeier 1931. Um die Situation für die königliche Familie zu entschärfen, wird Gicki bis zur Geburt ihres Kindes mit dem Maler Stephan Schneemoser verheiratet, der nach Geburt und Scheidung lebenslange monatliche Zuwendungen erhält. Bis auf weiteres kümmert sich der körperlich eingeschränkte und deshalb nur sehr schwer verständliche Xaver Bohrlein um den Jungen, der sich später (aufgrund seiner genetischen Konstitution) ständig rasieren und die Haare schneiden lassen muss.
Der andere Hauptdarsteller ist der Sohn des Prinzen Luitpold und der Prinzessin Emilie, dem ein Tippfehler im Glückwunschtelegramm des Reichspräsidenten Hindenburg zum Verhängnis wird. Dort steht anstatt „möge vaterländischer Geist…“, „möge vaterländischer Feist“. Otto wird ins unermessliche wachsen. Sowohl breit als auch hoch.
Beide Protagonisten erleben die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die Besetzung durch die Alliierten und den Neuanfang der Bundesrepublik, umrahmt von allerlei illustren Persönlichkeiten aus Geschichte, Politik und Religion. Es ist ein Fest!
Was mir gefällt
Auf jeden Fall die vielen schrägen Figuren mit ihren Ideen und kruden Plänen. Herbert Rosendorfer hat einen Hang zum Absurd-Grotesken, den man in allen seinen Büchern genießen kann. Am Ende bleibt die Erkenntnis Gickis: „Manchmal lässt die Natur aus der Tiefe ihres Geheimnisses einen Dämon herauf, einen Dämon – oder zwei.“
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